Die Studentenbewegungen von 1968 werden bis auf den heutigen Tag immer wieder kontrovers diskutiert und analysiert. Unabhängig davon, ob man pro oder contra Protestbewegung ist, bleibt in jedem Fall anzuerkennen, dass die damalige Generation angehender Akademiker mutig und selbstbewusst für ihre Ziele eintrat. Seit der gewaltsamen Niederschlagung der 1968er Bewegung, die zur Radikalisierung kleiner Gruppen und damit zur Wegbereitung des RAF-Terrors führte, ist es sehr ruhig geworden in den Hörsälen. Von einigen wenigen und eher schüchtern vorgebrachten Demonstrationen für Umweltschutz und Frieden einmal abgesehen, gab es seit damals keine vergleichbare Massenbewegung mehr, die eine tiefgreifende Veränderung der Gesellschaft zum Ziel gehabt hätte.
Die vehementesten Proteste, die gegenwärtig an Universitäten und gelegentlich auch außerhalb des Campus stattfinden, beziehen sich zumeist auf die Unterfinanzierung der Forschung und Lehre, klammern jedoch gesellschaftliche Grundsatzfragen weitestgehend aus. Dabei gäbe es genug Zündstoff für leidenschaftliche Proteste. Die immer weiter auseinander driftenden Gesellschaftsschichten mit der Anhäufung irrationaler Vermögen auf der einen und wachsender Armut auf der anderen Seite, die sich zuspitzende Wohnraumknappheit in Ballungsgebieten und die oftmals erfolgreiche Abwälzung beruflicher Ausbildung von Unternehmen auf staatliche Bildungseinrichtungen wären durchaus intensiver kritisch-intellektueller Beschäftigung Wert.
Doch es scheint, als ob der Existenzdruck zu stark auf den Schultern gegenwärtiger Studentengenerationen lastet, als dass diese sich noch kollektiv Aufbäumen könnten. Studiengebühren, die zum Arbeiten neben dem Studium zwingen, rauben Zeit und Energie. Hinzu kommen straff organisierte Studienpläne und ein harter Konkurrenzkampf um einigermaßen lukrative Arbeitsplätze. Somit fehlt den Studierenden schlichtweg die Kraft, um gegen den wachsenden Druck aufzubegehren. Der immerfort drohende soziale Abstieg ersetzt die intellektuelle Enge der Nachkriegszeit und lähmt die Fähigkeit zur kritischen Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Verhältnissen.
So gesehen, müsste die logische Schlussfolgerung aus der Vergangenheit lauten, dass die neuen 68er unmittelbar bevorstehen. Denn sobald der gesellschaftliche Anpassungsdruck ein gewisses Maß an Erträglichkeit übersteigt, schlägt der demütige Gehorsam der Massen schnell in Wut und Widerstand um.