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Mentoren als Brückenbauer

Mentor an der Uni

Wenn jemand als Erster in seiner Familie ein Studium aufnimmt, betritt er oft eine Welt, die ihm fremd ist. Eine Welt voller Fachbegriffe, Regeln und Rituale, von denen man zuhause noch nie gehört hat. Während andere Studenten sich ganz selbstverständlich im Uni-Dschungel bewegen, stehen First-Generation-Studenten oft am Rand und fragen sich: Wie finde ich mich hier zurecht?

Diese Frage ist kein Zeichen von Schwäche, sondern Ausdruck eines strukturellen Problems – eines Problems, das mit Herkunft, Chancenungleichheit und fehlender Unterstützung zu tun hat. Doch zum Glück gibt es Menschen, die helfen, diese unsichtbaren Mauern zu durchbrechen. Menschen, die nicht urteilen, sondern begleiten. Die nicht belehren, sondern bestärken. Mentoren.

Wenn Bildung zur Expedition wird

Die Geschichte von Lea ist keine Seltenheit. Tochter eines Handwerkers, Enkelin von Landarbeitern, beginnt sie mit 19 Jahren ein Medizin-Studium. In der Schule gehörte sie immer zu den Besten, doch an der Universität fühlt sie sich plötzlich klein. Ihre Kommilitonen reden über Praktika im Ausland, wissenschaftliche Veröffentlichungen der Eltern oder Kontakte zu Professoren, während sie sich fragt, wie man überhaupt eine E-Mail an einen Dozenten formuliert, ohne unsicher zu wirken.

Lea weiß, was sie kann. Aber sie weiß nicht, wie das System funktioniert. Und diese Unsicherheit nagt – leise, aber stetig. Sie schleicht sich in Gedanken wie: Vielleicht gehöre ich doch nicht hierher. Oder: Wenn ich nach Hilfe frage, denken die anderen, ich bin überfordert.

Bildung kann ein Aufstieg sein – aber ohne Karte, Seil und Kletterhaken wird selbst der beste Gipfel zur Überforderung. Wer optimal ins Studium starten möchte, braucht Orientierung, Unterstützung – und das Wissen, dass es in Ordnung ist, nicht alles zu wissen. Genau hier braucht es Menschen, die sagen: Ich bin diesen Weg gegangen. Und ich begleite dich ein Stück.

Mentoren als Kompass, Anker und Mutgeber

Mentoren an Hochschulen sind weit mehr als Lernhelfer oder Erklärbären. Sie sind emotionale Stabilisatoren, soziale Netzwerker und kulturelle Übersetzer. Sie kennen das System – und sie kennen die Ängste, die es erzeugen kann.

Ein guter Mentor hört zu, bevor er spricht. Er stellt die richtigen Fragen – nicht, um zu kontrollieren, sondern um zu verstehen. Oft reicht schon ein Satz wie: „Du bist nicht allein mit diesem Gefühl.“ Und plötzlich fällt eine Last von den Schultern, die über Jahre gewachsen ist.

Viele Hochschulmentoren arbeiten ehrenamtlich. Manche im Rahmen von Mentoring-Programmen, andere auf eigene Initiative. Ihre Wirkung lässt sich nicht in Zahlen messen, aber sie zeigt sich in Momenten: In der Erleichterung eines Studenten, der zum ersten Mal seine Semesterwochenstunden sinnvoll plant. Im Stolz einer jungen Frau, die sich endlich traut, in der Vorlesung eine Frage zu stellen. Im Lächeln nach einer bestandenen Prüfung, das mehr sagt als tausend Worte.

Studieren will gelernt sein

Wissen wird an Hochschulen vermittelt – aber wie man studiert, das wird oft nicht erklärt. Es wird vorausgesetzt. Doch was für Akademikerkinder selbstverständlich ist, muss für First-Generation-Studenten oft erst mühsam gelernt werden:

  • Wie formuliere ich eine wissenschaftliche Fragestellung?
  • Was erwartet ein Professor in einer mündlichen Prüfung?
  • Wem kann ich vertrauen, wenn ich Zweifel habe?

Diese Fragen sind keine Details – sie sind entscheidend. Und sie sind der Grund, warum viele talentierte Studenten frühzeitig scheitern, wenn sie nicht wissen, wie sie ihr Zeit-Management auf die Anforderungen des Studienalltags abstimmen können.

Ein Mentor kann diese Lücke füllen. Indem er erklärt, was andere nie erklären mussten. Indem er Orientierung gibt in einem Labyrinth, das keine Schilder kennt. Indem er sagt: „Ich sehe dich. Ich glaube an dich.“

Mentoring wirkt – und verändert Leben

Mentoren helfen Studenten beim Lernen

In vielen Hochschulen gibt es inzwischen gezielte Programme für Mentoring und Bildungsaufstieg. Sie richten sich an Erstakademiker, Menschen mit Migrationshintergrund oder aus nicht-akademischen Haushalten. Und sie zeigen Wirkung.

Ein Beispiel ist das Mentoring-Programm „Reflecting Education“ der Universität Wien, das gezielt Studenten aus bildungsfernen Schichten unterstützt. Im Rahmen dieses Programms begleiten erfahrene Mentoren Studenten durch persönliche Beratung, Vernetzungsangebote und regelmäßige Reflexionsgespräche. Ziel ist es, Barrieren im Studium zu erkennen und abzubauen sowie den Bildungserfolg nachhaltig zu fördern.

Studien belegen: Studenten mit Mentoren brechen seltener ab, sind zufriedener und erfolgreicher. Warum? Weil sie nicht allein kämpfen müssen. Weil sie jemanden haben, der ihre Fragen ernst nimmt, ihre Perspektiven versteht – und manchmal einfach nur da ist.

Typische Wirkungen erfolgreichen Mentorings:

  • Stärkung des Selbstwertgefühls: Wer gehört wird, traut sich eher, aktiv zu werden.
  • Besserer Studienverlauf: Unterstützung in Organisation, Zeitmanagement und Entscheidungsfindung.
  • Soziale Vernetzung: Zugang zu Netzwerken, Informationen und Chancen, die sonst verborgen bleiben.
  • Langfristige Bindung: Viele Mentoren-Beziehungen reichen über das Studium hinaus – bis in den Beruf.

Mentoren sind keine Lösung für alles

Natürlich lösen Mentoren nicht alle Probleme. Sie können strukturelle Benachteiligungen nicht im Alleingang aus der Welt schaffen. Aber sie können etwas schaffen, das oft fehlt: Vertrauen. Mut. Zugehörigkeit.

In einer Welt, in der Bildung der Schlüssel zu gesellschaftlicher Teilhabe ist, dürfen wir es nicht dem Zufall überlassen, wer diesen Schlüssel findet. Mentoren machen diesen Schlüssel sichtbar. Sie reichen ihn weiter – mit offenen Händen und offenen Herzen.

Und vielleicht – ganz vielleicht – wird eines Tages aus dem Mentee selbst ein Mentor. Jemand, der zurückblickt und sagt: „Weil mir jemand geholfen hat, helfe ich jetzt anderen.“

Denn echte Aufstiege beginnen selten allein. Sie beginnen im Gespräch. Im Vertrauen. Und in der leisen, aber kraftvollen Entscheidung eines Menschen, Brücken zu bauen statt Grenzen zu ziehen.