
Der Auszug aus dem Elternhaus – er markiert für viele junge Menschen den Beginn eines neuen Kapitels. Endlich allein wohnen, selbst bestimmen, was im Kühlschrank steht, wann geputzt wird – oder auch nicht. Für viele Studenten ist die erste eigene Wohnung mehr als nur ein Dach über dem Kopf. Sie ist Freiheit, Unabhängigkeit, das erste echte Stück Erwachsensein. Doch was so verheißungsvoll klingt, scheitert in der Realität oft an nüchternen Zahlen und harten Anforderungen. Der Weg zur eigenen Bleibe ist kein Spaziergang – er gleicht eher einem Hürdenlauf.
Wohnungstraum trifft auf Misstrauen
In deutschen Städten herrscht Wohnungsnot – besonders in beliebten Universitätsstädten wie Berlin, Leipzig, Freiburg oder München. Wer dort als Student eine Wohnung sucht, steht oft mit Dutzenden anderen Bewerbern in der Schlange. Unterlagen unter dem Arm, das freundlichste Lächeln im Gesicht und die stille Hoffnung, bei der Besichtigung irgendwie hervorzustechen. Doch die Realität ist gnadenlos. Der Andrang ist groß, der Markt leergefegt – und wer jung ist und wenig verdient, hat schlechte Karten.
Doch schon beim ersten Blick auf die Einkommensnachweise zeigt sich das Dilemma. Studenten verfügen meist nur über ein kleines monatliches Budget, das sich aus BAföG, einem Nebenjob oder elterlicher Unterstützung zusammensetzt. Keine Festanstellung, kein regelmäßiges Gehalt, keine Kredithistorie – all das lässt Vermieter zögern. Denn wer eine Wohnung vermietet, trägt ein Risiko. Mietausfälle, Schäden, gerichtliche Auseinandersetzungen – das alles kann teuer werden. Und aus Vermietersicht zählt am Ende weniger der gute Eindruck beim Besichtigungstermin als die Frage: Kann dieser Mieter zuverlässig zahlen?
Wie knapp es bei vielen tatsächlich ist, belegt eine Untersuchung des ifo Instituts. Laut einer Studie aus dem Jahr 2022 verfügen rund 47 Prozent aller Studenten über weniger als 1.000 Euro im Monat – Miete inklusive. Für viele Vermieter ist das ein K.-o.-Kriterium. Denn wer schon mit dem Grundbedarf kämpft, erscheint schlicht zu unsicher als langfristiger Mieter.
Ein genauer Blick auf die Finanzierungsquellen junger Menschen verdeutlicht, warum viele nicht als bonitätsstark gelten. Die Mehrheit ist auf externe Unterstützung angewiesen:
- 82 % erhalten finanzielle Hilfe von den Eltern
- 68 % arbeiten neben dem Studium
- 35 % beziehen BAföG
- 6 % erhalten ein Stipendium
- 9 % greifen auf sonstige Quellen zurück

Die Grafik rechts zeigt die Verteilung der wichtigsten Finanzierungsquellen der Studenten. Etwa 41 % der Mittel stammen von den Eltern, 34 % aus Nebenjobs, 17 % aus BAföG, weitere Anteile entfallen auf Stipendien oder sonstige Quellen. Diese Aufteilung verdeutlicht, wie vielfältig und oft kombiniert Studenten ihre Einnahmen gestalten.
Diese Abhängigkeit von unsicheren, schwankenden oder befristeten Einnahmen macht deutlich, weshalb Vermieter auf zusätzliche Sicherheiten bestehen. Die klassische SCHUFA-Auskunft oder eine Mieterselbstauskunft bringen bei Studenten oft wenig Erkenntnisse – denn sie haben meist kaum Zahlungshistorie oder Verträge vorzuweisen.
Elternbürgschaft als Türöffner
An dieser Stelle tritt ein alter, vertrauter Name auf den Plan: die Eltern. Wenn das eigene Einkommen nicht ausreicht, springt die Familie ein – mit einer sogenannten Elternbürgschaft. Diese ersetzt keine Mietkaution, sondern ergänzt sie häufig. Während die Kaution für kleinere Schäden oder Rückstände gedacht ist, greift die Bürgschaft, wenn die finanziellen Probleme größer werden. Viele Vermieter verlangen Eltern als Bürgen für die Wohnung insbesondere dann, wenn die monatlichen Einnahmen des Mieters unterhalb der üblichen Mietbelastungsgrenze liegen – also deutlich weniger als das Dreifache der Kaltmiete betragen.
Eine solche Bürgschaft gibt dem Vermieter die Sicherheit, dass im Ernstfall jemand für die offenen Forderungen haftet. Nicht irgendwann, nicht vielleicht – sondern sofort. Denn häufig handelt es sich um eine selbstschuldnerische Bürgschaft. Das bedeutet: Der Vermieter darf sich direkt an die Eltern wenden, ohne vorher rechtlich gegen den Mieter vorgehen zu müssen. Für die Eltern ist das ein Akt des Vertrauens, ein Zeichen der Unterstützung – aber auch eine rechtlich bindende Verpflichtung, die im Ernstfall teuer werden kann.
Vertrauen mit Preisetikett
Was für den Vermieter eine Absicherung ist, bedeutet für die Familie oft eine emotionale wie finanzielle Belastung. Die Bürgschaft ist kein loses Versprechen, sondern eine feste Haftung – sie kann im schlimmsten Fall mehrere tausend Euro kosten. Natürlich vertraut man dem eigenen Kind. Man geht davon aus, dass alles gut läuft, die Miete gezahlt wird, keine Schäden entstehen. Aber: Das Leben ist unberechenbar. Krankheit, Jobverlust, Studienabbruch – niemand kann die Zukunft vorhersehen.
Und trotzdem unterschreiben viele Eltern. Weil sie wissen, wie schwierig es ist, ohne Bürgschaft eine Wohnung zu bekommen. Weil sie ihrem Kind den Start ins Leben erleichtern wollen. Weil sie selbst einmal jung waren und wissen, wie es sich anfühlt, mit leeren Taschen und großen Träumen in einer fremden Stadt zu stehen. Dabei kann eine Bürgschaft auch eine mentale Entlastung für Studenten bedeuten – weil sie zumindest einen Teil der Sorge um die Wohnungssuche und den finanziellen Druck abnimmt.
Was Eltern und Studenten beachten sollten

Wer eine Bürgschaft unterschreibt, sollte sich der Tragweite bewusst sein. Sie ist kein kleiner Gefallen, sondern eine rechtliche Verpflichtung mit Folgen. Deshalb ist es wichtig, vor der Unterzeichnung genau hinzusehen:
- Begrenzung der Haftung: Eine Bürgschaft kann und sollte auf eine bestimmte Summe – etwa drei Nettomieten – begrenzt werden. Das schützt die Eltern vor unkalkulierbaren Kosten.
- Laufzeit klären: Idealerweise wird die Bürgschaft befristet oder an konkrete Ereignisse geknüpft, etwa das Ende des Mietverhältnisses.
- Schriftliche Form und Transparenz: Die Bedingungen sollten schriftlich festgehalten werden. Unklare oder mündlich getroffene Absprachen sind rechtlich unsicher.
- Alternativen prüfen: In manchen Fällen bieten Banken oder Versicherungen kostenpflichtige Mietbürgschaften an – diese können eine Lösung sein, wenn Eltern nicht bürgen wollen oder können.
Ein soziales Ungleichgewicht?
Die Elternbürgschaft hat sich vielerorts zum Standard entwickelt – besonders im studentischen Wohnungsmarkt. Doch sie offenbart auch ein gesellschaftliches Problem: Wer keine finanzstarken Eltern hat, bleibt häufig auf der Strecke. Der Zugang zu Wohnraum hängt damit nicht nur vom Verhalten des Mieters ab, sondern zunehmend von dessen familiärem Hintergrund. So wird Chancengleichheit zur Illusion – und Bildungsgerechtigkeit zum frommen Wunsch.
Ein junger Mann mit Top-Abiturnote, aber Eltern in der Grundsicherung? Für viele Vermieter weniger attraktiv als der durchschnittliche Student mit gutverdienendem Vater. Diese Realität ist hart, aber nicht neu. Die Elternbürgschaft wird so zur Eintrittskarte in ein System, das längst aus den Fugen geraten ist.
Vertrauen, Verantwortung und Vermietersorgen
Am Ende bleibt die Elternbürgschaft ein Spiegel gesellschaftlicher Ungleichheiten – aber auch ein Ausdruck familiärer Solidarität. Sie zeigt, wie stark Eltern ihre Kinder auf dem Weg ins Leben begleiten, manchmal auch über die eigenen finanziellen Möglichkeiten hinaus. Gleichzeitig offenbart sie ein Problem, das politisch kaum adressiert wird: den Mangel an bezahlbarem Wohnraum für junge Menschen, was den Einstieg in das Universitätsleben zusätzlich erschwert.
Was bleibt, ist ein Spagat. Zwischen dem Wunsch nach einem eigenen Zuhause und der Abhängigkeit von der Unterstützung der Eltern. Zwischen dem Vertrauen in den eigenen Weg und der Unsicherheit, ob man ihn überhaupt gehen darf – ohne Bürgschaft, ohne Sicherheit, aber mit jeder Menge Mut.
Und vielleicht liegt gerade darin die wahre Tragik: Dass junge Menschen nicht daran scheitern, sich ein Leben aufzubauen, sondern daran, einen Ort zu finden, an dem sie es beginnen können.